Schön, dass Du da bist, lieber innerer Zweifler! -

Eine Situation in meiner Beratungspraxis, die ich regelmäßig mit meinen Klienten bearbeite, ist die Einladung zu einem internen Assessment Center (AC). Dagegen haben oft selbst souveräne und arrivierte Führungskräfte, vielleicht sogar gerade die, regelrechte Aversionen. Im heutigen Fall hatte meine Klientin gerade ein wichtiges Projekt übernommen, das hohe Priorität für den Vorstand hatte. Das brachte nicht nur einen sehr hohen Workload mit sich, sondern auch viel Sichtbarkeit im gesamten Unternehmen. Leider trug sie aber auch noch eine schlechte Erfahrung aus einer früheren Diagnostik mit sich herum, die sie als undurchsichtig und wenig wertschätzend empfand: In den damals geforderten Rollenspielen konnte sie keinen Bezug zu ihrer Arbeit sehen und sie hegt ohnehin Vorbehalte gegen „Laborsituationen“, in denen sie agieren soll, als wäre es Realität. Ihr Ergebnis war entsprechend nicht zufriedenstellend für sie. Ihr Vorgesetzter trug es mit Fassung und meinte nur „Beim nächsten Mal wird es eben besser. Keine Sorge, ich kenne dich ja.“

Nun stand die nächste Diagnostik an. Und ich konnte ihr die Mischung aus Panik und Widerwille am Gesicht ablesen.  Wie wenig es hilft, an die Vernunft zu appellieren oder viele gute Argumente anzuführen, wissen wir alle. Ich entschied mich stattdessen für die Arbeit mit dem inneren Team.

Das innere Team ist ein Modell des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun und ich bin ein wahrer Fan davon. Denn als Tool im Coaching oder im Selbstcoaching angewandt, ist es eines der kraftvollsten Modelle für innere Klarheit, die ich kenne und es hilft, sich in schwierigen oder ambivalenten Situationen zu sortieren, sich gut auf kritische Gespräche einzustellen oder auch in Entscheidungssituationen, wenn es richtig komplex und kompliziert wird. Googlen Sie mal!

Im inneren Team meiner Klientin hatten wir nun nicht ganz überraschend eine sehr leistungsbereite, wohl sortierte Truppe an der vordersten Front. Ein Anteil in ihr war ganz selbstbewusster Profi mit hohem Anspruch an sich selbst und an andere, und sie hatte auch kein Thema, sich zu präsentieren und zu zeigen – gerne auch in Prüfungen, in Präsentationen, Vorstandssitzungen oder vor größerem Publikum. Ein anderer Teil in ihr war so leistungsbereit, dass sie ganz besonders bei herausfordernden Aufgaben wusste, wie sehr sie sich auf sich verlassen kann. Das hatte sie im Business und auch im Sport schon hinlänglich bewiesen. Ein anderer Teil in ihr war ebenso prädestiniert für Führungsaufgaben, den nannte einer ihrer Chefs mal „Menschenfängerin“, sie könne einfach mit einer großen Bandbreite von Menschen immer adäquat umgehen. Und dann gab es da noch einen anderen Teil, den sie als „Schüchterne“ bezeichnete. Dieser Teil ihres inneren Teams hatte so gar keine Lust, sich in eine solche „Fleischbeschau“ zu begeben, sich so exponieren zu müssen, ihr Innerstes nach außen kehren zu müssen. Dieser Teil wurde in ihrem inneren Team vehement von einer Zweiflerin unterstützt, die Sorge hatte, dass im Rahmen der Diagnostik vielleicht doch etwas entdeckt würde, was an ihr nicht stimmte. Vielleicht etwas aus der Vergangenheit, das nicht passte oder gar gefährlich war in einer Aufgabe wie ihrer aktuellen. Zu Themen aus ihrer Vergangenheit wollte sie auch lieber nicht befragt werden. Da gab es nichts. Oder vielleicht doch? Eine berufliche Station, die sie nicht freiwillig verlassen hatte. Dies war allerdings der Ausgangspunkt für ihre heutige erfolgreiche Karriere und sie wertete es als gute Entwicklung. Und dennoch: Sie hatte Angst, „entlarvt“ zu werden.

In unserer Arbeit mit dem inneren Team war die Frage, wen ihrer Teammitglieder sie in welcher Situation an die Kommunikationsfront schicken möchte und welche Konstellation geeignet wäre, in einem diagnostischen Verfahren in Erscheinung zu treten. Und hier stießen wir auf eine ganz spannende Frage:  Muss sie Anteile wie die Schüchterne oder die Zweiflerin in einem diagnostischen Verfahren verbergen? Oder ist nicht zu vermuten, dass gerade ausgebildete Diagnostiker in einem solchen leistungsstarken Charakter genau diese Anteile eher wertschätzen würden? Weil diese Anteile dazu führen, dass kein Über-das-Ziel-Hinwegschießen passiert. Weil sie dafür sorgen, dass eine stark leistungsbereite Person sich eben auch selbstkritisch hinterfragt und so dafür sorgt, sich selbst in Balance zu halten. Die Idee war also: Ich kann ja alle mitnehmen.

Menschlich ist, dass wir alle Anteile haben, die wir nicht mögen, die wir am liebsten verbannen oder denen wir wenigstens gerne Redeverbot geben würden. Vielleicht haben wir auch Anteile, die uns peinlich sind in ihrer Angst, ihrem Zögern und Zaudern und Hadern. Vielleicht sind es auch neidische, wütende oder eifersüchtige Anteile, die wir am liebsten ausblenden würden, die uns aber gerne dann überfallen, wenn wir sie gar nicht brauchen können.

Das innere Team in der Praxis schenkt für alle diese Anteile, die nun einmal da sind und die wir nicht wegkriegen, eine andere Art des Verständnisses und ermöglicht damit eine andere Art des Umgangs mit ihnen. Zu wissen, wann mein innerer Zweifler mitreden darf, vielleicht sogar unbedingt sollte, und wann nicht, das kann in vielen Situationen – und auch in einem diagnostischen Verfahren – eine entscheidende Weiche stellen. In jedem Falle führt es dazu, dass Sie einen gelasseneren Umgang mit sich und anderen pflegen können. Und das wirkt in jedem Fall!

Nutzen Sie Ihre Chancen und bleiben Sie dran!