Krisenhelden oder: Wenn Führungskräfte unter Druck aufblühen -In meiner Coachingpraxis heute und auch schon früher als Headhunterin habe ich immer wieder festgestellt, dass einige Charaktere erst dann aufblühen, wenn sie vor richtig schwierigen, druckvollen, anspruchsvollen Megaaufgaben stehen. Erst in einer richtigen Krise können diese Menschen bei sich selbst entdecken, was sie können und auszuhalten imstande sind, gerade auch im direkten Vergleich mit anderen. Da ich immer wieder fasziniert von dieser Beobachtung war, habe ich dazu recherchiert und einige Hypothesen haben sich verfestigt.

Die Wissenschaft bestätigt meine Beobachtungen: Es gibt ein Phänomen, das sich „posttraumatisches Wachstum“ nennt und dies wurde intensiv von Richard Tedeschi erforscht. In seiner Studie „The Posttraumatic Growth Inventory: Measuring the Positive Legacy of Trauma“ (1996) entwickelte er ein Messinstrument, das erstmals systematisch erfassen konnte, wie Menschen nach traumatischen Erlebnissen nicht nur zu alter Stärke zurückfinden, sondern sogar darüber hinauswachsen. Seine Forschung zeigt: etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Menschen, die schwierige Erfahrungen durchleben, berichten von fünf Wachstumsbereichen: 1. stärkere zwischenmenschliche Beziehungen, 2. erhöhte Wertschätzung des Lebens, 3. spirituelle Entwicklung, 4.persönliche Stärke und 5. neue Möglichkeiten.

McKinseys Studien zur Krisenführung während COVID-19 (2020) bestätigen diese Erkenntnisse für den Führungskontext: Organisationen mit Führungskräften, die „deliberate calm“ und „bounded optimism“ zeigten, erholten sich 40% schneller von Geschäftseinbrüchen. Denken Sie an die Geschäftsführer, die während der Pandemie nicht nur ihr Unternehmen gerettet und durch die Krise gebracht haben, sondern völlig neue Geschäftsmodelle entwickelt haben. Ich denke gerne an eine meiner Klientinnen, eine Abteilungsleiterin, die nach einem massiven Projektfehlschlag eine neue Chance bekam und ihre besten Leistungen zeigen konnte.

Was unterscheidet nun solche „Krisenhelden“ von anderen? Forscher haben herausgefunden, dass es weniger um angeborene Superkräfte geht, sondern um erlernbare Eigenschaften: eine hohe Ambiguitätstoleranz (also die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten), die Bereitschaft zur Selbstreflexion und paradoxerweise eine gesunde Portion Demut – solche Menschen wissen, dass sie nicht alle Antworten haben. Diese Führungskräfte sehen Krisen nicht als Bedrohung ihrer Kompetenz, sondern als Lernlabor. Können Sie sich in diesen Eigenschaften wiederfinden? Oder spüren Sie eher den Impuls, bei Unsicherheit schnell in alte Muster zu verfallen?

Meine Beobachtungen bei den Krisenhelden, mit denen ich im Coaching gearbeitet habe, unterstreichen diese Forschungsergebnisse und haben gleichzeitig nochmal eine andere Dimension: Mir scheint, dass Führungskräfte dann besonders über sich hinauswachsen können, wenn sie nicht nur Unsicherheit oder Ambiguität gut aushalten können, sondern wenn sie im Kopf frei sind. Damit meine ich, dass sie ihre Position nicht als Lebenszweck sehen, sondern sich auch andere Kontexte gut vorstellen können, ohne ihren Kampfgeist oder ihre Loyalität verlieren. Und eine weitere Beobachtung ist, dass solche Krisenhelden oft ein starkes Gegensystem haben, zum Beispiel eine private Herausforderung, mit der sie klarkommen müssen und die ebenso viel abverlangt (zum Beispiel einen kranken oder besonders zu fördernden Angehörigen) oder ein sehr tragendes privates Umfeld, das in hohem Maße Unterstützung/Rückhalt bietet – und das meine ich nicht im finanziellen Sinne.

Die gute Nachricht ist: Krisenresilienz lässt sich trainieren! Da eine Eigenschaft von Krisen ist, dass sie plötzlich und erwartet auftreten, geht es bei einem solchen Training immer auch um Spontaneität, um die Flexibilität, den eigenen, vielleicht starren Plan loslassen zu können, um den positiven Blick auf Dinge, selbst wenn sie außerhalb unserer Steuerung liegen und nicht gewollt waren. Und darauf kann man sich tatsächlich vorbereiten. Und zwar täglich im Kleinen und auch mit Absicht und geplant. Suchen Sie zum Beispiel bewusst das Unbequeme – übernehmen Sie Projekte, bei denen der Ausgang ungewiss ist. Tun Sie Dinge, die Sie noch nie gemacht haben, selbst wenn es „nur“ das Ausprobieren einer Sportart oder einer Freizeitbeschäftigung ist, die außerhalb Ihres Interessengebietes liegt. Kultivieren Sie bewusst eine „lernende Neugier“ statt einer rechthabenwollenden Haltung. Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat dafür das wunderbare Bild des „lebenslangen Lebenslehrlings“ gefunden.

Und noch etwas ist ganz wichtig: Reflektieren Sie nach jeder schwierigen Situation nicht nur, was schiefgelaufen ist, sondern fragen Sie sich vor allem, was Sie über sich selbst gelernt haben. Ein Geschäftsführer erzählte mir kürzlich: „Ich dachte immer, ich müsste alle Antworten haben. In der Corona-Krise lernte ich, dass die richtigen Fragen zu stellen viel mächtiger ist.“

Die Krise kommt zu uns allen, ob wir das wollen oder nicht. Die Frage ist nur, ob wir sie als Risiko oder als Chance betrachten. Als Zerstörung oder Erneuerung. Als destabilisierend oder als Korrektur. Mir scheint, auch dies könnte durch eine eigene Entscheidung beeinflussbar sein. Was meinen Sie? Was werden Sie bei Ihrer nächsten großen Herausforderung wählen?

Nutzen Sie in jedem Falle Ihre Chancen!