Plädoyer für das NEIN-Sagen
Es gibt einen Satz von Klient.innen, den ich immer wieder höre in meiner Coaching-Praxis:
„Ja, da konnte ich doch nicht Nein sagen. Wer hätte es denn sonst tun sollen?“
Das sagte mir ein Klient kürzlich, der wieder einmal eine Sonderaufgabe übernommen hatte, diesmal eine, an der sich der eigentlich zuständige Nachbarbereich bereits die Zähne ausgebissen hatte. Und der Vorstand übergab ihm den Job mit den Worten: „Sie haben ja schon ganz andere Kohlen aus dem Feuer geholt.“ Und ich hörte den Satz einen Tag später von einer Klientin, die ihren Urlaub dafür absagte, dass sie eine sehr wichtige Mission ihres Geschäftsführers unterstützen sollte – und dann bemerkte, dass es auch gut ohne sie gegangen wäre, dass ihr Vorgesetzter lediglich einen Backup brauchte.
Warum fällt es uns eigentlich so oft so schwer, „Nein“ zu sagen? Ja, wir sind soziale Wesen und vielleicht steckt es in der Natur von uns Menschen, People Pleaser zu sein. Wir brauchen andere Menschen in unserem Leben und wir wollen meist mit diesen im Guten sein. Und das nicht nur privat, sondern auch im Job. Einige Vorgesetzte nutzen dies aus und wissen sehr genau, wem man Sonderaufgaben übertragen kann und wem nicht. Oft ist dies durchaus auch ein Erfolgsfaktor. Leider zulasten derer, die eben nicht gut „Nein“ sagen können, die sich überreden lassen oder sich ohnehin von sich aus verpflichtet und verantwortlich für alles fühlen.
Und genau dies steckt häufig hinter dem Ja-Sagen: Ich fühle mich verpflichtet, ja zu sagen, nett zu sein, nicht in den Konflikt zu gehen, es recht zu machen. Wir wollen schließlich gemocht werden, die Harmonie bewahren, nicht als schwierig oder wenig ambitioniert gelten, die Erwartungshaltung des anderen nicht enttäuschen. Welcher Grund oder auch welche Prägung genau und im Kern auch immer es ist, wenn wir „Ja“ sagen und „Nein“ meinen, folgendes gilt immer: Vielleicht machen wir es dadurch allen anderen Recht – leider aber uns selbst nicht. Denn mit diesem Verhalten arbeiten wir gegen uns.
Und dieses Verhalten ist tatsächlich nicht nur für die Situation jetzt im Moment ungünstig, in der wir das „Nein-Sagen“ verpassen, sondern dieses Verhalten zahlt negativ auf Selbstachtung und Selbstakzeptanz ein. Es nährt eine schlechte innere Bilanz und es produziert Unzufriedenheit, Ohnmachtsgefühle und bisweilen auch innere Wut. Langfristig sind chronische Überlastung, ein inneres „Geladensein“, Stress und Burnout die Folge von zu viel „Ja“ sagen.
Wenn Sie sich in diesem Szenario wiederfinden, empfehle ich Ihnen als ersten Erinnerungsposten ein Post it in Sichtweite zu haben, auf dem in großer Schrift steht „Nein“ steht. Denn indem wir „Nein“ sagen, kommunizieren wir klar unsere persönlichen Grenzen. Wir stellen sicher, dass unsere Bedürfnisse und Werte respektiert werden. Nein zu sagen ermöglicht es uns, im Rahmen des Machbaren zu uns selbst zu stehen, uns zu schützen, übermäßige Belastungen zu vermeiden und damit trotz aller Abhängigkeit, mit der wir in unseren Jobs auch umgehen müssen, Professionalität zu zeigen.
Wenn Sie bestimmte Grenzen zum ersten Mal ziehen und „Nein“ sagen, kann die Reaktion Ihres Gegenübers oder gar Ihres Chefs mit Ablehnung oder gezeigter Enttäuschung einhergehen, da Ihre Umwelt sich möglicherweise schon an die sonst übliche Bereitschaft gewöhnt hat. Vielleicht erhalten Sie auch Nachfragen zu Ihrem Verhalten oder irritierte Kommentare. Ihre nächste persönliche Herausforderung besteht dann darin, dies auszuhalten und freundlich, aber bestimmt zu Ihrem Nein zu stehen oder das Nein zu begründen. Sie werde übrigens feststellen, dass es Ihnen mit jedem Mal ein wenig leichter fallen wird. Ihre zweite Herausforderung ist gleichzeitig, sich nicht zum notorischen Nein-Sager zu entwickeln. In jedem Fall und mit jedem Nein bietet sich eine ganz andere Chance des Miteinanders. Denn besonders im beruflichen Kontext ist „Nein sagen“ relevant für effizientes Zeitmanagement und qualitätsvolle Projektsteuerung.
Dies gilt übrigens in beide Richtungen: Nicht nur gegenüber Ihren Vorgesetzten, auch gegenüber Ihren Mitarbeitern ist die Entwicklung hin zu einer gesunden „Nein“-Kultur erstrebenswert. Denn letztlich sorgt insbesondere Grenzziehung für Be-ziehung – und mit einer Truppe von Ja-Sagern werden Sie auch keinen dauerhaften Erfolg erzielen.