Zuhören gefährdet die eigene Meinung -Haben Sie sich schon einmal gefragt, welcher Mechanismus zuschlägt, wenn Sie merken, dass Sie bestimmten Menschen einfach nicht zuhören können? Wenn Sie zwar die Worte hören, aber die Worte weder Ihr Hirn noch Ihr Herz erreichen? Wenn Sie abschalten, stellen Sie die Ohren auf Durchzug, wie der Volksmund sagt. Wir kennen dieses Phänomen alle. Wir üben es quasi von Kindheit an. Es gibt einfach Botschaften, auf die wir keine Lust haben oder auch die, vor denen wir uns schützen wollen und manchmal auch müssen. Und es gibt andere Wahrheiten, die uns – bitteschön – nicht angreifen sollen.

Denn Zuhören gefährdet massiv die eigene Meinung. Und die wollen wir uns manchmal einfach nicht nehmen lassen. Wir haben schließlich ein Recht auf eigene Meinung.

Wenn Führungskräfte nicht zuhören

Der auffälligste Fall von Nicht-Zuhören in meiner Coaching-Praxis begegnete mir vor einigen Jahren, als ich die Zusammenarbeit mit einem Bereichsleiter begann, der die Zeit bei mir offensichtlich hauptsächlich überstehen wollte. Schon im ersten Gespräch redete er entweder ohne Punkt und Komma und kam dabei in viele belanglose Details. Oder er wiegelte jedes von mir angebotene Thema ohne Aufnahme desselben ab.

Anlass unseres Coachings war die Interaktion mit seiner neuen Führungskraft, einem neuen Vorstandsmitglied. Auch bei seinen Mitarbeitenden wurde sein Bereich zunehmend unbeliebter, was sich in schlechten Ergebnissen in den Mitarbeiterbefragungen niederschlug. Es entwickelte sich sogar eine steigende Quote von Kündigungen mit explizitem Verweis auf seinen Führungsstil. Darauf angesprochen, berichtete er mir zunächst, wie erfolgreich er darin sei, die Begegnungen mit seinem Vorgesetzten zu minimieren und zu vermeiden, aber dass ansonsten alles okay für ihn wäre. Alles laufe zufriedenstellend. Er brauche niemanden und vor allem keinen Chef für das Tagesgeschäft. Er sei selbst schon so lange dabei, dass er wisse, was zu tun sei. Auch wenn bei ihm gerade wieder zwei jüngere Leitungspersonen gekündigt hätten. Die waren eben einfach nicht auf der richtigen Spur. Er habe schon Ersatz im Auge.

Das vermeidende Verhalten meines Klienten schien aus einer Not heraus geboren. Er hatte offensichtlich gelernt, dass er „durchkommt“, wenn er sich taub stellt. Und nicht hören will, was andere sagen.

Wir alle sind immer mal wieder in der sogenannten Bestätigungsfalle gefangen. Selbst bei weniger wesentlichen Entscheidungen wissen wir meist genau, wen wir fragen müssen, um Bestätigung zu bekommen. Denn wir suchen Belege für das, was wir ohnehin glauben, und hören deshalb nur selektiv zu. Es gibt für dieses Phänomen noch einen anderen Hintergrund: die Angst vor Veränderung. Wenn uns jemand eine neue Sichtweise liefert, könnte das unsere bisherige Meinung und Ansicht (oder gar unsere Weltsicht) erschüttern.

Gerade bei Führungskräften spielt oft noch ein weiterer Aspekt mit, wenn sie nicht zuhören wollen: die soziale Dynamik. Führungskräfte wollen nicht abhängig wirken, sondern klug und verantwortungsbewusst oder machtvoll. Manchmal zeigen gerade Führungskräfte deshalb wenig Empfänglichkeit für andere Standpunkte. Denn als Führungskraft weiß man doch, wo es langgeht. Oder?

Hinreichend bekannte Vorteile des Zuhörens sind oft nicht gewünscht

Denn sie gefährden nicht nur die eigene Meinung, sondern vielleicht sogar die längst getroffene Entscheidung. Zuhören könnte eben zu neuen Einsichten führen. Oder eine Beziehung vertiefen. Oder die Entscheidung nochmal verbessern. Oder sogar eine neue Idee die alte ersetzen lassen. Wenn dies jedoch nicht gewünscht ist, macht Nicht-Zuhören alles einfacher.

Im Coaching mit dem Bereichsleiter zeigte sich deutlich, wie sein mangelndes Zuhören nicht nur bei mir zu einer Eskalation der Spannungen führte. Im Dreiergespräch mit seinem Vorstand war unmissverständlich klar, dass da kein Vertrauen mehr herrschte und der Kontakt auch nicht mehr zu kitten war. Meinen Klienten habe ich in eine andere Position begleiten dürfen, in der er ein für ihn passenderes Umfeld fand.

Für Führungskräfte ist Zuhören eine der wesentlichsten Eigenschaften. Wenn Ihnen dies bisweilen schwerfällt, empfehle ich, zum einen Ihre Motive zu erforschen und zum anderen dazu in Übung zu gehen. Der Wunsch, effizient und schnell zu handeln, verhindert oft das aufmerksame Zuhören. Und damit leider auch nützliche und notwendige Zusatzinformationen. Wenn Führungskräfte dann noch ihre knappe Zeit und Fokussierung auf Ergebnisse nach vorne bringen, fällt diesen Zielen so manche vielleicht hilfreiche Erklärung von Mitarbeitenden zum Opfer – und kann als echte Stolperfalle wiederkommen.

Menschen in machtvollen Positionen verlieren Empathie

Hinzu kommen weitere bekannte Mechanismen. Psychologisch ist zum Beispiel nachweisbar, dass Menschen in machtvollen Positionen häufig ihre ursprünglich vorhandene Empathie verlieren oder diese wichtige Fähigkeit nachlässt.

Und wie jedes Führungsverhalten überträgt sich auch mangelndes Zuhören in die Organisation. Wenn in der Organisation nur schnelle Antworten gefördert werden, dann übernehmen eben genauso strukturierte Führungskräfte das Ruder. Das kann verheerende Folgen haben, wie sich in einigen Wirtschaftsskandalen bereits gezeigt hat.

Erkennen wir überhaupt schlechtes Zuhören bei uns selbst? Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Gerade weil das Nicht-Zuhören oft in guter Absicht erfolgt („…wir müssen eben möglichst schnell entscheiden, ich weiß sowieso den besseren Weg und habe immer ein gutes Bauchgefühl, es ist noch immer gut gegangen…“,etc.) und deswegen gar nicht als Versäumnis wahrgenommen wird. Die Ratgeber werden erfahrungsgemäß auch rarer, je mehr Verantwortung man trägt.

Zwei Tipps sind besonders wirksam: 1. Wenn Sie merken, dass Sie öfter innerlich direkt widersprechen oder abwiegeln wollen, machen Sie das nächste Mal ganz bewusst eine kurze Pause. Atmen Sie tief durch. Sagen Sie sich etwas wie: „Ich höre gerne zu, auch wenn ich anderer Meinung bin.“ Paraphrasieren hilft, in diese Verzögerung zu kommen, also das Gehörte in eigenen Worten wiederholen, ohne direkt zu antworten. Formulierungen wie „Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie, dass…“ helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Und 2. Nichts ist so hilfreich wie Feedback. Prüfen Sie vor allem dann Feedback, wenn Sie diesem wieder direkt widersprechen wollen oder überzeugt sind, dass es eine falsche Beobachtung ist. Wenn Feedback nicht von alleine zu Ihnen kommt, bitten Sie Kollegen oder Freunde regelmäßig um Rückmeldung, wie gut Sie zuhören. Nutzen Sie Feedback und vor allem auch Kritik, um Ihre eigenen Muster zu ändern.

Auch so können Sie Chancen nutzen!