Die (un)angenehmen Rollen des Lebens
Es gibt Sätze, die wir im Coaching öfter hören. Einer davon ist mir kürzlich wieder begegnet:
„Mein Job macht mir Spaß. Aber wenn ich in diesem Gremium agiere, dann fühle ich mich wie fehl am Platz.“
Wir alle nehmen viele Rollen im Leben ein. Die einen fallen uns leichter, andere sind mühsam oder ungeliebt. Es gibt die beruflichen Rollen, aber auch die privaten, wenn wir Vater, Mutter, Schwester, Onkel, Sohn oder einfach nur Nachbar oder Vereinsvorsitzende sind. Immer wenn es um Rollen geht, geht es auch um Erwartungen, die andere an uns haben, die auch nicht einheitlich sind und die manchmal mit unseren eigenen Vorstellungen nicht übereinstimmen. Manchmal stellen wir sogar fest, dass selbst unsere eigene Erwartung an eine Rolle mehrere Facetten hat, da wir uns immer im Vorfeld einer Rolle ein Bild machen, wie es sein könnte, zum Beispiel Geschäftsführer zu sein, und oft genug ist die Realität eine andere.
Die Passform zwischen Person und Rolle wird nie deckungsgleich sein. Im guten Falle gibt es eine ausreichend große Schnittmenge. Zumindest werden so im Business Personen für Rollen ausgewählt. Die Rolle dann auszuüben und sukzessive die Schnittmenge zu erweitern, nennen wir Ausgestaltung einer Rolle. Und die meisten Spannungsfelder im Coaching finden sich im Ringen um diese Ausgestaltung. Zwischen mir als Person und mir in meiner Rolle wird es immer Reibung geben. Und das Positive vorweg: Das kann, darf und muss auch so sein. Genau so lernen wir. Wir „werden“ zu etwas, wir sind es (noch) nicht mit Übernahme einer Rolle. Jede neue Rolle ist also eine große Entwicklungschance.
Die Rolle als Konstrukt ist ein komplexes Gebilde, höchst individuell interpretierbar, kulturell, spezifisch, gesellschaftlich und situativ bestimmt, dynamisch veränderbar und überaus hilfreich. Denn es gilt: Jede Rolle gibt uns auch einen Spielraum, den wir zu definieren haben, der uns Freiheiten lässt. Eine Rolle kann auch der sichere Ort sein, an dem man auf keinen Fall völlig daneben liegt. Ein bewusst gelebtes Rollenverhalten gestattet uns Reaktionen, die nicht unbedingt uns als Persönlichkeit entsprechen müssen. Insbesondere bei inneren Konflikten, in denen wir entscheiden müssen, wie wir mit einer Situation umgehen können, kann uns die Rolle Halt und Richtung geben, in dem wir uns klar abgrenzen: Das ist jetzt das Erfordernis der Rolle, deswegen handle ich so.
Die Frage, wann wir eine Rolle als einengend, erdrückend, anstrengend, unerfüllbar oder gar als unangenehm empfinden ist ebenso individuell. Manche Schritte in der Karriere vollziehen sich nahezu organisch. Andere brauchen Anstrengung, Mühe, Veränderung im Verhalten, vielleicht sogar im Äußeren, Anpassung an ein System. Und nicht immer „werden“ wir zu dem, was die Rolle von uns will. Nicht jede Rolle, die von außen betrachtet attraktiv und erstrebenswert wirkt, lässt sich so ausfüllen, wie wir es uns vorab vorgestellt haben.
Gerade für Führungskräfte kann diese Erkenntnis schwer zu verdauen sein. Wer gesteht sich schon gerne ein, dass die harte Arbeit und die langjährige leistungszehrende Performance zu etwas geführt hat, was wir gar nicht haben wollen, nicht ausfüllen oder ertragen können. Wenn diese Erkenntnis – meist langsam – reift, gilt es, gut hinzuschauen auf das, was an Signalen da ist, auch emotional. Bei Führungskräften, die ambitioniert eine Karrierestufe nach der anderen erklimmen, kann das Streben zum Selbstläufer werden und sogar die eigenen Bedürfnisse verdrängen. Da wird der Jäger langfristig zu einem Getriebenen. So können auch gesundheitliche Malaisen entstehen.
Wenn wir es nachhaltig schaffen, eine Rolle als das anzusehen, was sie ist, nämlich als ein Konstrukt, das der Orientierung und der Verabredung in einem System dient, ist das Modell der Trennung zwischen mir als Person und in der Rolle hervorragend geeignet, um dem eigenen Verhalten Zeit zum Lernen und Ausrichten zu geben. Falls wir dabei jedoch bemerken, dass uns eine Rolle nachhaltig nicht liegt, dass sie einengt wie ein Korsett oder gar inneren Widerstand erzeugt, sollten wir nicht zögern, uns aktiv mit der Rolle auseinanderzusetzen. Und im Zweifel Gelegenheiten prüfen, die ungeeignete Rolle gegen eine andere, passgenauere Rolle einzutauschen.