Schwäche zeigen - Stärke tanken -Es gibt Sätze, die wir im Coaching öfter hören. Einer davon ist uns kürzlich wieder begegnet:

„Wenn ich so handle, könnten andere mich für unfähig halten…“

Dieser Satz würde es weit nach oben in der Liste der meist gehörten Sätze im Coaching schaffen. In leichten Abwandlungen hört er sich so an: „Andere könnten mich für schwach / inkompetent / fehlbesetzt /  daneben halten, wenn ich etwas nachhake, frage oder zugebe, dass ich etwas nicht weiß, wenn ich um Hilfe bitte oder anderen Einblick in mein Gefühlsleben gestatte. Das geht in unserer Kultur nicht.“

In unserem Buch zum Thema „Führen mit Präsenz“ haben meine Kollegin Anja Struchholz und ich diesem Aspekt ein ganzes Kapitel gewidmet, weil es ein Phänomen darstellt, dem wir häufig begegnen, nämlich der Scheu, von anderen etwas anzunehmen oder um Hilfe zu bitten. Präsenz besteht nicht allein im Senden, im Geben, im Machen, im Tun und im Sich-allzeit-stark-und-bereit-zeigen, sondern Präsenz entfaltet sich auch in der komplementären Fähigkeit, nämlich von anderen zu nehmen, sich unterstützen zu lassen, sich auch einmal tragen zu lassen, sich inspirieren zu lassen, andere an sich heranzulassen und sogar andere um etwas zu bitten oder sich zu entschuldigen für etwas, was einem nicht gut gelungen ist. Natürlich wollen wir alle unser Bestes geben. Wir wollen Spuren hinterlassen. Vielleicht wünschen wir uns, unersetzlich zu sein – und manchmal denken wir sogar, wir wären es. Natürlich bedeutet Führung vorangehen und Verantwortung übernehmen. Doch wer heute andere Menschen führt, darf nicht nur, sondern muss in der Lage sein, sich von anderen stützen zu lassen, deren Tatkraft und Kreativität zuzulassen und zu nutzen. Wir müssen daher lernen, anderen Menschen und deren Fähigkeiten zu vertrauen. Denn ohne das wird es nicht funktionieren, wird eine Führungskraft nicht akzeptiert werden.

Wenn Sie im Führungsalltag Präsenz entwickeln wollen, dann gilt es auch zu lernen, wie Sie wertschätzend und mit höchstem Bewusstsein von anderen nehmen und annehmen können. Wenn Sie sich nun fragen, wie das eigentlich geht oder was genau gemeint ist, überrascht Sie eventuell meine Antwort: Es beginnt alles mit dem aktiven Zuhören, dem Aussprechen lassen, mit Verstehen und Nachvollziehen. Es geht weiter mit dem Sich-inspirieren-lassen, Ideen von anderen aufnehmen und die eigenen Ideen daran zu schleifen. Gehen Sie ruhig davon aus, dass andere gerne für Sie einspringen. Fast alle Menschen geben gerne, es gehört zur menschlichen Natur. Die meisten Menschen handeln nicht nur aus einer Rollenpflicht heraus, sondern im Unterstützen geht es um eine Grundhaltung von Mensch zu Mensch. Was es auf der anderen Seite zu lernen gilt ist häufig, die Hilfe anderer zulassen und aushalten zu können.

Vergessen Sie den Gedanken, dass jemand Sie als Führungskraft für schwach, ungeeignet, inkompetent oder hilflos halten könnte, nur weil Sie Unterstützung anfordern, weil Sie nachfragen oder Unwissenheit eingestehen. Verstehen Sie, dass ein solches Verhalten Sie für Ihre Mitarbeiter transparenter, sympathischer und nahbarer macht und dass Sie genau mit diesem Verhalten Türen öffnen und eine tragbare Verbindung schaffen. Ihre Präsenz in diese Richtung zu entwickeln, wird Sie nachhaltig stärken.