Achtung, wenn Sie sonntagsabends schon genervt von Montag sind!
Es gibt Sätze, die wir häufig hören im Coachingprozess und wie bei allen beratenden und helfenden Professionen ist Erfahrung für die Analyse eines Problems hilfreich. So ist es auch bei uns Coaches. Mein Klient kam mit nervösem Blick und hastigen Bewegungen zu mir und schon der zweite oder dritte Satz lautete „So kann es nicht weiter gehen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr es mich nervt, dieses Verhalten meines Kollegen, immer und immer wieder. Und nichts geht voran. Wir blockieren uns gegenseitig.“
Mein Klient ist Vorstand eines mittelgroßen produzierenden Unternehmens und sein Kollege ist der Vorsitzende im Gremium. In einem Vorstandsgremium sind einige Themen der Zusammenarbeit nochmal potenziert, denn es geht um eine gemeinsam getragene Verantwortung für ein Unternehmen und das gleichzeitige Vertreten eines bestimmten Ressorts. Ein Team als Vorstandsgremium in Balance zu halten erfordert von jedem Einzelnen einen persönlichen Spagat in Sachen Commitment für das große Ganze und Einsatz für den eigenen Bereich. Das verlangt nach anderen Strategien als in Positionen unterhalb der ersten Ebene. Während der Ellenbogen im Middle Management mitunter recht gut voranbringen kann, kann er einen auf der Vorstandsebene ins Aus schießen.
Mit meinem Klienten habe ich zunächst seine Emotion „Genervt sein“ ins Visier genommen. Sehr häufig ist Genervtheit ein Hinweis auf dringend anstehende Transformation, ein somatisches Signal, dass ein bestimmtes Verhalten nicht mehr akzeptiert wird. Ein Appell für einen dringenden Handlungsbedarf. Damit konnte mein Klient etwas anfangen, denn gerade war sein Vertrag vom Aufsichtsrat verlängert worden und er fühlte sich in seiner Rolle deutlich sicherer. Sein Eindruck war, dass der Kollege Entscheidungen hinauszögert oder zu relevanten Situationen und Themen keine Stellung bezieht. Und dass er selbst schon viel zu lange zugewartet hatte, ohne etwas zu tun. Da er weitere Kollegen im Gremium hat, haben wir diverse Szenarien durchgespielt, wie er mehr Einfluss nehmen könnte, sich Verbündete suchen könnte und letztlich auch, wie und mit welchen Vorschlägen er auch bilateral mit dem Vorstandsvorsitzenden dazu in Kontakt treten könnte.
Unser Körpersystem ist ein überaus intelligenter Mechanismus. Immer wieder stelle ich in meinen Gesprächen fest, dass Klienten selbst eindeutige Signale des Körpers gerne übersehen oder sie nicht deuten wollen. Dabei sind Emotionen die wesentlichen Hinweisgeber des Körpers, und sie schlagen interessanterweise meist schneller an als unser Geist bzw. unser Gehirn. Anhaltende Schlafstörungen bis hin zu ernsthaften Erkrankungen sind oft die Endstufe. Davor sind die Signale eher diffuser, wie zum Beispiel die oben zitierte Genervtheit, noch bevor die Woche angefangen hat. Auch ein Gefühl von „Ich kann gar nichts mehr“ kann ebenso ein Hinweis sein oder auch eine anhaltende Abgeschlagenheit oder eine steigende Unlust auf eigentlich schöne private Aktivitäten.
Gehen Sie bitte nicht über solche Emotionen hinweg und denken Sie vor allem nicht: „Das regelt die Zeit“ oder „Das geht schon wieder vorbei“. Eine weitaus hilfreichere Frage wäre: Was will die Genervtheit von Ihnen? Was steht gerade bei Ihnen an, wovor drücken Sie sich vielleicht, weil Sie nicht hingucken wollen? Welche Erkenntnis ist eigentlich schon (in Form der starken Emotion) da, findet aber noch keine Entsprechung im Handeln, noch kein Gehör bei Ihnen?
Körpersignale und Emotionen haben nichts mit Esoterik oder Empfindlichkeit oder gar Verweichlichung zu tun. Je mehr Verantwortung Sie tragen, desto stärker sind Sie in ein System von Funktionieren und Machen eingespannt und umso eher nehmen Sie zwar noch etwas in der Peripherie wahr, aber bevor Sie ins Überlegen dazu kommen, ist Ihr Gehirn in der Regel schon mit den nächsten zwanzig Themen und Problemen beschäftigt. Ein Innehalten und ein Arbeiten mit der Emotion – und nicht gegen die Emotion – wird Sie weiterbringen und kann Ihnen sogar einen entscheidenden Vorsprung geben.
Nutzen Sie Ihre Chancen – und nutzen Sie ebenso Ihre Emotionen.