TraditionenDer Glaubenskrieg um die Business-Traditionen

Es gibt sie, alle Jahre wieder, diese heilige Zeit im Jahr, wenn in der Vorweihnachtszeit Business und Besinnlichkeit aufeinandertreffen. Kollegen bringen Spekulatius und Weihnachtsstollen mit. Der alljährliche Abend auf dem Weihnachtsmarkt mit den Kollegen. Die Weihnachtsfeier mit der Firma. Warum hat mittlerweile jede Abteilung noch eine eigene Weihnachtsfeier? Weihnachten kann im Unternehmenskontext ebenso ein Minenfeld sein wie in den meisten Familien: Bei wem wird dieses Jahr gefeiert? Was gibt es zu essen? Wer übernimmt Onkel Ernst und Tante Rita? Geschenke oder nicht? Und Hilfe, das Stammlokal für den ersten Weihnachtsfeiertag hat geschlossen!

Bei Unternehmen fängt es häufig beim Thema Weihnachtskarten ein: Digital oder analog? Einheitlich oder unterschiedlich? Der Spruch steht schon gedruckt auf der Karte oder doch mit Platz für persönlichen Gruß? Wer soll denn überhaupt schreiben? Dafür hat heute doch keiner wirklich Zeit. Und vielleicht auch gar keine Lust?

Die Fronten sind klar

Auf der einen Seite stehen also die Traditionalisten. Menschen, die handgeschriebene Karten verschicken und dafür einen Füller aus der Versenkung hochholen. Das sind die, die daran glauben, dass der Zauber von Verbindung über die Tinte und die haptische Karte transportiert wird. Sie setzen sich Anfang Dezember mit Lebkuchen ins Büro und schreiben „Frohe Weihnachten und ein erfolgreiches neues Jahr“ mit schwungvollem Gruß, während andere müde dazu lächeln oder sich denken „Na, der/die muss viel Zeit übrig haben…“ und eher den Geist der ewig Gestrigen erkennen.

Auf der anderen Seite stehen die Pragmatiker. Und die sagen: Papier ist von gestern. Unsere Zeit ist digital. Mit der Hand schreiben ist old school. Sie schicken nichts – oder eine digitale E-Card mit blinkendem Lichterketten und springenden Rentieren. Denn Nachhaltigkeit, Zeitersparnis und Effizienz sind schließlich auch Werte. Warum Stunden darauf verwenden, 300 Karten zu be- und unterschreiben, wenn man mit einem einzigen Versand eines Newsletters mit festlichem Banner in einem Bruchteil an Zeit 3.000 Kontakte bedenken kann?

Schneckenpost oder Digitaler Schnickschnack

Nach einigen Jahren ohne Weihnachtskarten und einer gewissen Traurigkeit über nur wenige Karten auf meiner Fensterbank habe ich mir eine neue Meinung gebildet: Beide Lager haben recht – und beide liegen gleichzeitig daneben. Denn Traditionen im Business sind nie Selbstzweck. Sie sind Ausdruck von Haltung. Ob Karte oder Klick, entscheidend ist, was ich ausdrücken will. Eine handgeschriebene Karte kann wirken wie ein ehrlicher Händedruck, als stünde jemand vor mir. Eine gut gemachte digitale Botschaft kann zeigen, dass man modern denkt und trotzdem Wertschätzung ausdrücken will.

Problematisch wird es nur, wenn beides zur Pflichtübung verkommt. Oder wenn ich es tue und eben eigentlich keine Verbindung zu dieser Art Tradition habe. An meinen eigenen Weihnachtskarten konnte ich durchaus sehen, wer selbst schreibt, wer sich etwas dabei denkt oder wer eine unleserliche Unterschrift über einen (vielleicht sogar durchaus guten) Kalenderspruch setzt.

Karte oder Klick, beides kann gleich unpersönlich oder persönlich sein – eben nur auf unterschiedlichen Kanälen.

Der Sinn hinter dem Brauch

Ich selbst mag Traditionen ebenso wie ich Neues mag oder bewusst neue Traditionen begründe. Einige Traditionen sind es einfach wert, erhalten zu werden. Und andere brauchen einen Neuanfang. Deswegen werden meine diesjährigen Weihnachtskarten Neujahrskarten.

Traditionen geben uns Struktur und schaffen Verbindung. Traditionen, gerade die im Business, sind keine nostalgischen Relikte. Sie sind etwas wie soziale Anker. Beziehungen brauchen Pflege  – und Erfolg kommt nicht nur von Schlagzahl, sondern durch Vertrauen, und ja, auch Sympathie und gemeinsamer Geschichte. Eine Weihnachtskarte – handgeschrieben oder digital – ist in diesem Sinne ein symbolischer Akt der Verbundenheit.

Im Business ist der Jahresendspurt oft eine einzige Rushhour, in der Budget- und Jahresplanung, Mitarbeitergespräche und wichtige Abschlussarbeiten unbedingt noch untergebracht werden müssen. Die Weihnachtsfeier kann da auch zum  lästigen Pflichtprogramm werden. Was fehlt, ist dann die Zeit für die echte Verbindung zu einem Kunden, einem Lieferanten, dem Kollegen, von dem man ja oft gar nicht weiß, was den so umtreibt.

Wer also dieses Jahr seine Weihnachtskarten-Frage klären will unabhängig vom Format, dem empfehle ich die Frage: „Wie will ich Beziehung gestalten?“ Denn darum geht es am Ende bei jeder Tradition – auch (und vielleicht sogar gerade) im Business: Nicht um das, was wir letztlich tun, sondern um das Warum, um meine Haltung dahinter.

In einer Zeit, in der vieles automatisiert, anonymisiert und digitalisiert passiert, wirkt eine persönliche Geste doch fast schon rebellisch. Trotzdem ist die schönste Karte doch die, bei der man merkt: Da hat jemand nicht nur die Adresse kopiert, sondern einen Moment innegehalten. Da hat jemand nicht nur sein CRM-System sinnvoll genutzt, sondern aktiv eine Verbindung gesucht. In diesem Moment wird aus der Routine auch Resonanz, wird aus dem alten Brauch etwas echtes Neues. Dann habe ich auch wieder Lust auf Weihnachtskarten bzw. Neujahrskarten!

Auch in Traditionen liegen Chancen und die gilt es zu nutzen!